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1. Strafsenat des BGH zur Einziehung im Jugendstrafrecht

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs geht davon aus, dass die Einziehung von Taterträgen (§ 73 ff. StGB) im Jugendstrafrecht im Ermessen des Gerichts steht. Da andere Senate bisher teilweise gegenläufig entschieden haben wird die Frage voraussichtlich dem großen Senat vorgelegt werden.

Hintergrund ist die inzwischen zwingende Einziehung von Taterträgen im Erwachsenenstrafrecht. Über §  8 Abs. 3, S. 1 JGG findet die Regelung auch Eingang in das Jugendstrafrecht. Dem Wortlaut nach handelt es sich aber um eine „Kann-Bestimmung“:

„Neben Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln und Jugendstrafe kann auf die nach diesem Gesetz zulässigen Nebenstrafen und Nebenfolgen erkannt werden.“

Hieraus und aus der Systematik des Gesetztes, insbesondere wegen § 15 JGG, schließt der 1. Strafsenat, dass die Einziehung im Jugendstrafrecht nicht zwingend ist.

Dem 1. Strafsenat ist meiner Auffassung nach zuzustimmen. Zwar ist die Einziehung ein probates Mittel um finanziellen Anreizen zur Begehung von Straftaten entgegenzuwirken, jedoch haben generalpräventive Gesichtspunkte im vom Erziehungsgedanken geprägten Jugendstrafrecht zurückzustehen. Die Einziehung kann in Einzelfällen bei der Resozialisierung Jugendlicher kontraproduktiv sein. Die Möglichkeit solche Fälle zu erkennen und erzieherisch sinnvoll zu Sanktionieren sollte den Jugendgerichten auch hinsichtlich der Einziehung zur Verfügung stehen.

DRB fordert Abschaffung der Weisungsbefugnis der Justizminister gegenüber Staatsanwälten

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur fehlenden Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften in Deutschland spricht sich nun auch der Deutsche Richterbund (DRB) für eine Abschaffung der Weisungsbefugnis der Justizminister an Staatsanwälte aus. Der DRB-Vorsitzende Jens Gnisa forderte am 27.05.2019 in Berlin das Weisungsrecht der Justizminister an die Staatsanwaltschaften im Einzelfall umgehend aufzuheben. Durch die jahrelange Blockadehaltung der Politik drohe nunmehr eine schmerzliche Sicherheitslücke. es sei unklar, wie derzeit überhaupt noch europaweite Fahndungen umgesetzt werden könnten. Selbst Haftentlassungen könnten nicht ausgeschlossen werden.

Der Gerichtshofs der Europäischen Union hatte entschieden, dass die deutschen Staatsanwaltschaften wegen der Weisungsgebundenheit nicht ausreichend selbständig gegenüber der Exekutive sind, um europäische Haftbefehle ausstellen zu können. Ich hatte hierüber bereits am 04.06.2019 in der Neuigkeitenrubrik berichtet.

Es ist davon auszugehen, dass sich angesichts der klaren Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union weitere Institutionen und Interessenverbände der Forderung anschließen werden.

 

Geständniswiderruf

Im Mordfall Walter Lübcke soll der mutmaßliche Täter bei einem Termin vor dem BGH sein Geständnis widerrufen haben.

Da das Geständnis sehr detailliert gewesen und Täterwissen enthalten haben soll dürften die Auswirkungen auf das Verfahren überschaubar sein.

Wird ein Geständnis widerrufen so ist dieses nicht aus der Welt. Vielmehr wird überprüft, ob das ursprüngliche Geständnis glaubhaft war. Schon ohne Widerruf ist dies Pflicht des Gerichts, da durchaus auch falsche Geständnisse abgelegt werden. Gründe hierfür können der Schutz des wahren Täters oder auch mal eine Geistesstörung sein. Im Grunde ist ein Geständnis nur eine Aussage des Beschuldigten/Angeschuldigten/Angeklagten und der Widerruf eine andere Aussage. Ob und ggf. welche dieser Aussagen der Wahrheit entspricht hat das Gericht gründlich zu überprüfen.

Zwar darf ein widerrufenes Geständnis in der Hauptverhandlung nicht verlesen werden, wenn es nicht vor einem Richter erfolgte, jedoch können durchaus die Vernehmungsbeamten als Zeugen vom Hörensagen vernommen werden, womit das Geständnis am Ende dann doch formell in den Prozess eingeführt wird.

Im Fall Lübcke wirkt der Widerruf wie eine taktische Maßnahme des neuen Pflichtverteidigers, z.B. zur Erreichung einer Verfahrensabsprache oder Ähnliches.

3,5 und 4,5 Jahre Haft für „Polizei-Trick“

Das Landgericht Bielefeld verurteilte zwei Norddeutsche mit Wurzeln in Kasachstan, die sich als Polizisten ausgegeben hatten, am 12.06.2019 zu 3 Jahren und 6 Monaten sowie 4 Jahren und 6 Monaten wegen Betruges. Die Strafen weichen von einander ab, da einer der Täter vorbestraft war.

Beide Täter waren sogenannte Abholer. Ihre Aufgabe war es, bei vornehmlich alten Mitmenschen Gelder und Schmuck abzuholen um es vor vermeintlichen Einbrechern in Sicherheit zu bringen. Dabei wurde vorgegaukelt, sie seien Polizeibeamte.

Die hinter dem Betrug stehenden Haupttäter aus der Türkei sind noch immer aktiv. Es handelt sich wohl um ein professionell agierendes Callcenter das mit hoher krimineller Energie vorgeht.

Falls Sie einen Anruf bekommen, bei dem von der Polizei wegen drohender Gefahr die Herausgabe von Wertgegenständen gefordert wird sollten Sie unbedingt nachforschen. Zumindest sollte ein Rückruf bei der Polizei erfolgen. Dazu bitte weder eine von den ursprünglichen Polizisten genannte Rufnummer verwenden, noch das selbe Telefon auf dem angerufen wurde. Dieses bzw. die Verbindung wird bei solchen Fällen oft manipuliert.

Die korrekte Rufnummer der örtlichen Polizei können Sie öffentlichen Medien entnehmen. Notfalls kann auch die allgemein bekannte Notfallrufnummer gewählt werden. Falls sie kein Zweittelefon (z.B. Handy) haben fragen Sie bitte Ihre Verwandtschaft oder Nachbarn.

Natürlich können Sie auch einen Rechtsanwalt einschalten und mit der Erforschung der Rechtmäßigkeit der Aufforderung beauftragen. Dies ist zwar mit Kosten verbunden, aber in jedem Fall sinnvoller als den Verlust der Altersvorsorge zu riskieren.

Deutsch Staatsanwaltschaften dürfen nach dem EuGH keine EU-Haftbefehle ausstellen

Es ist ein Paukenschlag.

Nach Auffassung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind die deutschen Staatsanwaltschaften wegen der Weisungsgebundenheit nicht ausreichend selbständig gegenüber der Exekutive um europäische Haftbefehle ausstellen zu können.

Zur Erläuterung: In Deutschland ist es möglich, dass aus einem Justizministerium Anweisungen an eine Staatsanwaltschaft ergehen, die diese dann zu befolgen hat.

Das Urteil ist deswegen so brisant, da nun deutsche Staatsanwaltschaften einstweilen keine europäischen Haftbefehle mehr werden ausstellen können. Die Weisungsgebundenheit, so umstritten sie auch schon immer war, ist aber so fest verankert, dass eine nun zwingend notwendige Änderung auf sich warten lassen könnte. Man darf gespannt sein, wie diese Klippe nun umschifft werden wird.

Ich würde ganz klar favorisieren, dass die Weisungsgebundenheit ganz entfällt. Sie ist mir schon immer ein Dorn im Auge, da auch mir persönlich Fälle bekannt sind, bei denen im Rahmen staatsanwaltschaftlicher Verfügungen entgegen dem Willen der sachbearbeitenden Staatsanwälte selbst, nicht die Strafverfolgung sondern politische Interessen im Vordergrund standen. Es bleibt daher die Hoffnung, dass anlässlich der Entscheidung nunmehr endlich eine erhebliche rechtsstaatliche Schwäche behoben wird.

Es ist bemerkenswert, dass der EuGH Deutschland mehr oder weniger direkt an die Bedeutung der Gewaltentrennung erinnern muss.

Zum Nachlesen:

Gerichtshof der Europäischen Union PRESSEMITTEILUNG Nr. 68/19 Luxemburg, den 27. Mai 2019, Urteile in den verbundenen Rechtssachen C-508/18, OG (Staatsanwaltschaft Lübeck), und C-82/19 PPU, PI (Staatsanwaltschaft Zwickau), sowie in der Rechtssache C-509/18, PF (Generalstaatsanwalt von Litauen)

DAV fordert Haftentschädigung von mindestens 100 € pro Tag

Der Vorsitzende des Ausschusses Strafrecht im DAV  bekräftigte in einem Statement die Forderung des DAV für zu Unrecht erlittene Freiheitsentziehung eine Haftentschädigung von mindestens 100 € zu gewähren. Als symbolischer Ausgleich für unschuldig Inhaftierte seien die derzeit geregelten 25 € pro Tag nicht angemessen.

Anlass für das Statement war eine erwartete Entscheidung des Bundesgerichtshofs über eine Entschädigung wegen Abschiebungshaft in der der Kläger den Freistaat Bayern und die Bundesrepublik Deutschland auf eine Entschädigung in Höhe von 100 Euro pro Hafttag in Anspruch nahm. Die Revision des Klägers wurde in der inzwischen veröffentlichten Entscheidung zurückgewiesen und auf die des Freistaates Bayern das Urteil des OLG München dergestalt abgeändert, dass die Klage insgesamt abgewiesen wurde.

Verurteilung wegen Diebstahls aus Mülltonne

Am 24.04.2019 hat das Amtsgericht Köln einen Mann zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt, da er aus dem Müll eines Künstlers drei Kunstwerke entnahm, die dieser als Mangelhaft eingestuft und zur Vernichtung weggeworfen hatte.

Das Urteil gibt Anlass, auf die rechtliche Situation in solchen Fällen hinzuweisen. Zum Diebstahl heißt es in § 242 StGB:

„Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Einen Diebstahl kann man also nur an einer fremden beweglichen Sache begehen. Gemäß § 959 BGB wird eine bewegliche Sache herrenlos, wenn der Eigentümer in der Absicht, auf das Eigentum zu verzichten, den Besitz der Sache aufgibt. Nimmt man diese Sache dann an sich liegt begrifflich kein Diebstahl vor, da es keine fremde Sache mehr ist. Dereliktion nennt der Jurist diese Eigentumsaufgabe.

Dem Mann vor dem Kölner Gericht wurde zum Verhängnis, dass in seinem Fall die drei Kunstwerke für die Vernichtung vorgesehen waren. Der Künstler hatte dementsprechend den Besitz keineswegs mit der Absicht aufgegeben, auf das Eigentum zu verzichten. Er wollte die Kunstwerke vernichtet sehen und übereignete sie im Grunde durch das Einwerfen in die Mülltonne an das Entsorgungsunternehmen.

Ein klassischer Fall der zugrundeliegenden Problematik ist die Frage, ob man Sperrmüll anderer Menschen an sich nehmen darf. Hier wird in der Regel von einer Besitzaufgabe ausgegangen. Aber Vorsicht: Manche Gemeinden haben Satzungen, in denen bestimmt ist, dass durch das Herausstellen von Sperrmüll eine Übereignung an das Entsorgungsunternehmen vorgenommen wird. In einem solchen Fall kommt man schnell in rechtliche Probleme.

Auf der sicheren Seite ist man übrigens, wenn man den Eigentümer fragt, ob man ein bestimmtes Stück an sich nehmen darf.

Bei Hausmüll und ähnlichem, persönlichem Abfall ist ebenfalls Vorsicht geboten, da hier regelmäßig eine Übereignung an das Entsorgungsunternehmen anzunehmen ist, wie auch in dem Kölner Fall. Der durchschnittliche Bürger möchte nämlich nicht, dass sein persönlicher Müll wie z.B. Rechnungen, alte Fotos oder eben auch mal seine Kunstwerke bei Dritten landen, sondern hat ein Interesse an deren Vernichtung.

Richter am LG Stuttgart in Dieselskandalprozess wegen Befangenheit abgelöst

Am Landgericht Stuttgart wurde ein für Dieselskandalprozesse zuständiger Richter wegen Befangenheit abgelöst. Grund hierfür war wohl, dass seine Ehefrau vor einem anderen Landgericht selbst einen Prozess gegen Volkswagen führt.

Der abgelöste Richter hatte zuvor im Herbst 2018 die Porsche SE in zwei Prozessen zu Schadenersatz verurteilt. Die Porsche SE und Volkswagen stellten Befangenheitsanträge. Der erste Antrag wurde zuvor in zwei Instanzen abgewiesen, der zweite war erfolgreich.

Die Prozesse werden nun von anderen Richtern am Landgericht Stuttgart fortgeführt.

Es dürfte wohl nicht der einzige Fall dieser Art bleiben, da angesichts der hohen Zahl an Klägern auch viele Richterfamilien betroffen sein dürften.

Revision im Schlecker-Prozess weitestgehend erfolglos

Im Prozess gegen die beiden Kinder des Gründers der Drogeriemarktkette Schlecker wegen Untreue in Tateinheit mit vorsätzlichem Bankrott, vorsätzlicher Insolvenzverschleppung und Beihilfe zu Bankrottstraftaten ihres Vaters hat der BGH die Revisionen der beiden Angeklagten ganz überwiegend als unbegründet verworfen (Beschluss vom 14.03.2019, Az.: 1 StR 259/18). Lediglich eine Einzelfreiheitsstrafe wegen Beihilfe zum vorsätzlichen Bankrott und die Gesamtfreiheitsstrafe wurde jeweils herabgesetzt, weil das LG die den Angeklagten fehlende Schuldnereigenschaft nicht gem. § 28 I StGB zu ihren Gunsten bedacht habe.

Die Freiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren und sieben Monaten sind damit rechtskräftig.

Der Vater selbst hatte keine Revision eingelegt.

Laut Gericht hatten die Angeklagten erkannt, dass ihrem Vater spätestens seit dem 01.02.2011 die Zahlungsunfähigkeit drohte. Der mitangeklagte Vater habe dies gewusst und Vermögenswerte beiseitegeschafft, zum Beispiel durch die Gewährung überhöhter Stundensätze zugunsten des Personaldienstleisters LDG GmbH, deren Gesellschafter seine beiden Kinder waren, durch die Bezahlung eines Karibikurlaubs seiner Kinder sowie von Rechnungen betreffend die Privatwohnung seines Sohnes. Hierbei hätten ihn die Angeklagten unterstützt.

Die schwerwiegendste Tat in Form der Untreue in Tateinheit mit vorsätzlichem Bankrott wurde darin gesehen, dass der Firmengründer im Januar 2012 und damit kurz vor dem beabsichtigten Insolvenzantrag sieben Millionen Euro an die LDG GmbH überwiesen habe. Diesen Betrag hätten sich die beiden Angeklagten sofort per Blitzüberweisung je zur Hälfte ausgezahlt. Die Kinder hätten durch ihr vorsätzliches Handeln eine Überschuldung der LDG GmbH in Höhe von mehr als 6,1 Millionen Euro herbeigeführt, so das Gericht.

Der oft übersehene § 201 StGB (Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes)

Viel zu oft wird übersehen, dass ein Mitschneiden von Äußerungen auch strafrechtlich problematisch sein kann. Im anwaltlichen Alltag werden von Mandanten nur zu gerne heimliche Mitschnitte von Gesprächen als Beweismittel angeboten. Neben möglichen Beweisverwertungsverboten und zivilrechtlichen Ansprüchen wegen eines solchen Handelns kann dieses durchaus auch strafbar sein.

Während Bildaufnahmen noch recht weitgehend strafrechtlich neutral sind – die Hürden für die Verwirklichung von § 201a StGB sind angesichts des Erfordernisses der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs recht hoch – sind Tonbandaufnahmen deutlich problematischer, da hier schon die Nichtöffentlichkeit des gesprochenen Wortes ausreichend sein kann. Da insbesondere die in Mode geratenen Handyaufnahmen meistens beide Aufnahmefunktionen umfassen wird es schnell unangenehm.

Das musste auch eine Demonstrantin vor dem Landgericht München erfahren (LG München I, Urteil v. 11.2.2019, 25 Ns 116 Js 165870/17). Sie hatte am Rande einer Demonstration die Personenkontrolle einer anderen Demonstrantin mit dem Handy gefilmt. Sowohl das Amtsgericht München, als auch das Landgericht München in zweiter Instanz sahen das Gespräch während der Kontrolle als nicht öffentlich und § 201 StGB als verwirklicht an. Es folgte eine Geldstrafe die in zweiter Instanz herabgesetzt und nach § 59 StGB vorbehalten blieb. Eine Filmaufnahme ohne Ton wäre in diesem Fall wohl strafrechtlich unproblematisch gewesen (vgl. BVerwG, Urteil v. 28.3.2012, 6 C 12.11).

Inwieweit hier ein Rechtfertigungsgrund bzw. ein Irrtum über einen solchen Vorlag mag ggf. noch das Bundesverfassungsgericht entscheiden.